Student/in
Luca Fabio Rösch
Vertiefungsarbeit Master
Professor: Sacha Menz, Dozent: Hannes Reichel, Assistentin: Corina Haertsch
Abstract
SCHLUSSFOLGERUNG Wohnen ist für 24% der Umweltbelastung der Schweiz (im In- und Ausland) verantwortlich, 131 in der Diskussion über die Zukunft unseres Planeten sollte es daher einen wichtigen Platz einnehmen. Die dicht bebaute Stadt stellt dabei die effizienteste Form des Wohnens dar. Sie verbraucht wenig unserer kostbaren Landreserve und bietet ein hohes Angebot an Arbeitsplätzen, Bildungs-, Kultur- und Freizeitmöglichkeiten. Die kurzen Wege führen zu einer hohen Lebensqualität bei geringerem - oder zumindest effizienterem und ökologischerem - Verkehrsaufkommen. In der Schweiz leben rund 85% der Bevölkerung im städtischen Kernraum oder in von ihm beeinflussten Gebieten, ausser die Kernstädte sind jedoch wenige Siedlungsstrukturen wirklich dicht bebaut. Unter anderem die hohen Mietkosten in den Zentren und der gehegte Traum vom Einfamilienhaus führen zu hohem Verkehrsaufkommen (12% der Schweizer Umweltbelastung) und zersiedelten Agglomerationen. Die hohen Mietkosten sind dabei relativ, denn mit dem erlangten Wohlstand haben wir mittlerweile auch einen flächenmässig sehr hohen Anspruch an unsere Wohnungen erreicht. Wenn wir weniger Wohnfläche für uns beanspruchen, so würden wir auch weniger dafür bezahlen. Dies wäre um einiges ökologischer und es gäbe zudem mehr verfügbarer Wohnraum für jene, welche zusätzlich in die Städte kommen. Nicht die dichte Stadt ist ökologisch, sondern die dicht Bewohnte. Neben der Qualität des Gebauten und dessen Freiräume ist die Verdichtung und Überlagerung von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen so auch ein wesentliches Merkmal einer Stadt mit hoher Lebensqualität. Dabei sind grosse, von wenigen Personen bewohnte Wohnungen Gift für die städtische Atmosphäre, denn wer alles bei sich zu Hause hat, braucht nicht mehr auf die Strasse zu gehen. Nebst dem hohen Wohlstand sind die Gründe dafür auch das Verhältnis zwischen unseren veränderten, individualisierten Lebensstilen und dem Bestand, als auch der neu gebauten Wohnungen. Die Auflösung der traditionellen Kernfamilie hin zu einer Gesellschaft mit mehrheitlich alleinstehenden Personen wird von Immobilienbranche nur schwach (Zweizimmerwohnungen) berücksichtigt, es werden weiterhin Familienwohnungen im Sinne der 1960er Jahre gebaut (Dreizimmerwohnung), in welchen Einzelpersonen leben und hohe Wohnflächen für sich beanspruchen. Ein weiterer, gewichtiger Faktor für den Wohnflächenverbrauch ist der Mieterschutz und die damit verbundenen tiefen Kosten bei Langzeitmietern, welche in der heutigen Form einen Wohnungswechsel in eine kleiner Wohnung finanziell bestrafen. Der Mieterschutz als Schweizer Errungenschaft sollte dabei keinesfalls in Frage gestellt werden. Jedoch braucht es ein gesellschaftliches Umdenken unserer Wohnweisen und des Wohnflächenkonsums, das einen Verzicht auf Konsum (Suffizienz) beinhaltet, ansonsten dürften mittelfristig weder die Klimaziele, noch der Landschaftsschutz bei wachsender Bevölkerung erreicht werden. Ein radikaler Steuerungsansatz wäre dabei die Lenkungsabgabe für Wohnraum, welche auf politischer Ebene eine Suffizienz definiert. Dabei wird ein Schwellenwert oder auch Bereich definiert welcher als angemessen betrachtet wird (zum Beispiel 35m2 pro Person) und danach mittels Abgabe, beziehungsweise Subvention ein hoher Wohnflächenkonsum finanziell bestraft und ein geringer, nachhaltiger Konsum belohnt. Weniger radikal und in der liberalen Schweiz politisch auch eher tragbar wäre ein Anreiz auf freiwilliger Basis, welcher effizientes Wohnen subventioniert. Bei der Lenkungsabgabe findet eine Umverteilung statt, welche gerade auch in der Lage ist die Problematik der Langzeitmieter mit einem finanziellen Anreiz, beziehungsweise einem Nullsummenspiel zu lösen. Die Abgabe könnte durch ihren Umverteilungscharakter zudem, gerade auch in zentralen Lagen, eine soziale Durchmischung fördern. Die Lenkungsabgabe stellt ein sehr radikaler Vorschlag dar, welcher in der Praxis mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden sein dürfte und ein starker Einschnitt in die Freiheit des Einzelnen bedeutet und daher politisch aktuell kaum tragbar wäre. Sie stellt jedoch ein Anreiz dar, welcher zu einem Umdenken in der Wohnweise führen könnte, denn «Jeder zehnte Haushalt verfügt nach eigener Einschätzung über zu viel Wohnfläche»132, wie zwei Studien des Bundes zeigen. Dabei würde der Wohnungsbestand und die Bautätigkeit einen grundlegenden Wandel durchmachen müssen, denn Wohngemeinschaften in Dreizimmerwohnungen dürften für viele Menschen kaum in Frage kommen. EINLEITUNG WOHNFLÄCHE POLITIK GEMEINSCHAFTLICHES WOHNEN IN BASEL 109 Das gemeinschaftliche Wohnen stellt dabei eine Lösung dar, welche mit den neu erstellten Projekten immer weiter von seinen Ursprüngen in der alternativen Besetzter- und Studenten-Szene in die Mitte der Gesellschaft rückt. Die Cluster-Wohnung als Luxusvariante eines Zimmers in einer Wohngemeinschaft hat sicherlich vieles dazu beigetragen, als auch die Bearbeitung des Themas durch hippe, professionalisierte Genossenschaften wie die «Kalkbreite» oder «mehr als wohnen». Doch auch wenn es scheint, dass sich die Wahrnehmung der Gesamtgesellschaft gegenüber kollektiven Wohnformen weg vom alternativen Hippie- und Kommunen-Bild, hin zu trendigen, nachhaltigen Stadtbewohnern gewendet hat, bleibt die Wohnform eine Randerscheinung, welche sich hauptsächlich auf Zürich beschränkt und nur langsam Fuss in anderen Städten fassen kann.133 Dafür braucht es Pioniere, welche bereit sind ein Risiko einzugehen, da erst das vorhandene Angebot an Wohnungen dieser Art eine Nachfrage und damit ein Umdenken bewirken kann. Institutionelle Anleger werden wohl kaum oder nur aus Marketing Gründen mit starkem Standortbezug und einem jungen und urbanen Zielpublikum ein Angebot von solchen Wohnungen bereitstellen Dies ist auch nicht weiter schlimm, da das kollektive Zusammenleben basisdemokratische Selbstbestimmung verlangt, welche in einem «normalen» Mietverhältnis nur bedingt erreicht werden kann. Das kollektive Wohnen setzt auch einen kollektiven Besitz voraus, um bestmöglich funktionieren zu können. So wird der allergrösste Teil von Gemeinschaftswohnungen von Baugenossenschaften errichtet, in welchen die Bewohner in partizipativen Planungsverfahren auch von Anfang an eingebunden werden. Das gemeinschaftliche Wohnen ermöglicht mittels individueller Suffizienz eine nachhaltige Lebensweise, welche unseren hohen Ansprüchen an Räume und Nutzungen auf einer kollektiven Basis weitaus besser gerecht werden, als auf einer Individuellen. Eines der schönsten Beispiele dafür ist das Schwimmbad in der Siedlung Halen vom Atelier 5: niemand der Bewohner könnte sich ein Schwimmbad leisten, es wäre pure Dekadenz, als Kollektiv jedoch ist es finanziell tragbar und überhaupt nicht verwerflich. Hans Widmer spricht daher auch vom «Leben in einem Viersterne-Hotel», wenn man anfängt Räume, aber auch andere Gegenstände miteinander zu teilen. Die vorliegende Potenzialanalyse versucht nun mit einer radikal reduzierten privaten Fläche die ursprüngliche Frage nach günstigen Mieten zu beantworten und gleichzeitig eine nachhaltige Wohnform zu umschreiben. Ausgangslage bilden die individuellen Rückzugsorte der Bewohner, welche mittels Flächenwerten mit unterschiedlichen Grössen, Zugängen zu Sanitärräumen und jeweils drei Belegungsszenarien definiert werden. Nach der Aufteilung dieser Privat-Einheiten resultiert ein Verhältnis der Privat- zu den Gemeinschaftsräumen von 70% zu 30% und eine Belegung von 73 Personen im erwarteten, mittleren Szenario. Dies bedeutet die Wohnfläche pro Person (inkl. Gemeinschaftsräume) kommt auf 24.6 m2 zu liegen, was fast die Hälfte des durchschnittlichen Schweizers ist. Der Wert liegt dabei sehr tief, deckt sich jedoch in etwa mit jenem Wert eines planetar verträglichen Konsumverhaltens, welcher von «Neustart Schweiz» in «Nach Hause kommen» beschrieben wird. Die Arbeit verfolgt auch das Ziel mittels einem radikalen Szenario die Grenzen des Machbaren auszuloten, dabei bleibt sie auf einer rechnerischen Ebene, welche die Frage des Komforts aussen vor lässt und explizit keinen Vorschlag einer Raumaufteilung und damit einer Architektur macht. Der erwartete Wert versucht dabei verschiedenste Lebenssituationen und -konstellationen der Bewohner zu berücksichtigen, um eine realistische Personenbelegung zu erzielen. Der Wert stellt eine Erwartung dar und ist nicht vertraglich festgelegt. Der rechtlich bindende Wert, welcher mit einer Mindestbelegung erzielt wird, ist weitaus tiefer, kommt jedoch mit 33 m2 pro Person immer noch weit unter den Schweizer Durchschnitt. Die Gemeinschaftsräume sind in der Rechnung der einzelnen Geschosse die Resträume nach Abzug der Privat-Einheiten. In der gewählten rechnerischen Strategie macht dies so auch Sinn, in einem architektonischen Projekt würde man wahrscheinlich genau umgekehrt vorgehen und von den Gemeinschaftsräumen ausgehen. Für die Wohnqualität sind es dann auch sie, welche von entscheidender Bedeutung für das Gelingen des Projekts sind. Bei einer solch knappen individuellen Fläche braucht es ein differenziertes Raumangebot mit Nischen und Räumen in den Gemeinschaftsbereichen, welche Möglichkeiten bieten verschiedenste Aktivitäten in unterschiedlichen Gruppen auszuüben. Es sind dann auch diese Räume und Bereiche, welche eine Vielfalt an Nutzungsangeboten bieten und damit erst die individuelle Suffizienz gegenüber einem konventionellen Wohnungsbau legitimieren können. GEMEINSCHAFTLICHES WOHNEN POTENTIALANALYSE GEMEINSCHAFTSRÄUME 110 LUCA RÖSCH - WAHLFACHARBEIT PROFESSUR MENZ SCHLUSSFOLGERUNG Die Flexibilität der Räume ist entscheidend für soziale Durchmischung, nur wenn unterschiedliche Bedürfnisse in unterschiedlichen Lebenslagen abgedeckt werden kann diese auch erreicht werden. Dabei ist soziale Durchmischung relativ, viele Genossenschaften schreiben sie sich bei Projekten dieser Art auf die Fahne, jedoch ziehen sie damit auch immer schon ein spezifisches Klientel des alternativen Mittelstandes an. Obwohl die gemeinschaftliche Wohnform mittlerweile breit akzeptiert scheint, so sind es doch immer noch relativ homogene Gruppen, welche schlussendlich darin leben. Klar existiert eine Durchmischung bezüglich Alter, Lebensabschnitt, Lebensform und Bedürfnisse, jedoch bezieht sich dies nur auf eine Gruppe welche grundlegende gesellschaftliche, ökologische und politische Haltungen teilt. Dies bezeichnet die soziale Komponente, die Voraussetzung Personen in allen Lebensabschnitten, -entwürfen und Bedürfnissen aufzunehmen bleibt die Gleiche, auch wenn sich das Zielpublikum erweitern würde. Eine BewohnerIn sollte in der Lage sein ihr ganzes Leben im Haus zu verbringen: als AlleinstehendeR, als Paar, mit Kindern und als SeniorIn. Dabei können Räume bei Bedarf dazu genommen und bei Nichtbedarf wieder freigegeben werden. Die Verfügbarkeit der Räume kann natürlich nicht geplant und sichergestellt werden, eine Durchmischung der Lebenssituationen der Bewohnerschaft fördert dies lediglich. Nebst dem sparsamen Umgang mit der Wohnfläche soll auch die Bauweise nachhaltig sein. Als Vorgabe der Baurechtsnehmerin wird das Gebäude nach den Kriterien der Minergie-ECO Zertifizierung mit natürlichen Baustoffen erstellt. Bei einem mittleren Ausbaustandart kommen die Baukosten auf rund 8 Millionen Schweizerfranken zu liegen, was nach dem Zürcher Kostenmietmodell einen maximalen Mietzins von 20.6 CHF pro Quadratmeter und Monat bedeutet. Vergleicht man dies mit den gängigen Marktmieten von Neubauten in den umliegenden Wohnvierteln der Stadt Basel, so ist dies mindestens 11% günstiger. Für die Cluster-Einheit bezahlt man 1’254 CHF im Monat inklusive einem Gemeinschaftsflächenanteil von 7-10m2. Sie kann als Zweizimmerwohnung mit 40 m2 angesehen werden, welche bei einer Bereinigung der Miete um die Gemeinschaftsflächen rund 900 CHF im Monat kosten würde und damit weit unter den marktüblichen Mieten für Zweizimmerwohnungen allen Alters liegt. Die übliche Miete einer solchen Wohnung ist eher vergleichbar mit der Miete inklusive den Gemeinschaftsflächen, welche so als Bonus zum gleichen Preis angesehen werden kann. Hinzu kommt das Anteilskapital an der Genossenschaft, welches einem, je nach Finanzierungsart für 16’394 bis 54’647 CHF umfangreiche Mitbestimmung und einen sehr hohen Kündigungsschutz sichert. Abschliessend kann gesagt werden, dass das Ziel von günstigen Mieten mittels einer Reduktion der individuellen Wohnfläche erreicht und gar ein Mehrwert bei der Nutzung der Gemeinschaftsräume geschaffen werden kann. Die Frage nach der Bereitschaft der Gesellschaft private Räume mit anderen Menschen zu teilen bleibt jedoch offen. Historisch gesehen hat aber erst die Industrialisierung eine, von der Öffentlichkeit derart abgeschlossene Wohneinheit für breite Bevölkerungsschichten mit sich gebracht und auch damals wurden Räume der Wohnung untervermietet und damit geteilt. Dazumal war es, durch die Wohnungsnot in den Städten, eine finanzielle Notwendigkeit und führte teils zu prekären Bedingungen in den Wohnungen. Heute ist es keine - oder noch keine - finanzielle Notwendigkeit mehr, es stellt jedoch eine ökologische Notwendigkeit dar, welche nebst den sozialen und räumlichen, auch finanzielle Vorteile mit sich bringt. FLEXIBILITÄT MIETEN & KAPITAL SCHLUSS